#PARKEN IST BEWEGUNG
Festival junger Kunst in Berlin parallel zum Gallery Weekend
kuratiert von Jakob Urban
Parken ist kein Stillstand. Parken ist Bewegung. Parken ist temporär, Parken ist präsent. Zwischen materiell und immateriell: Aggregatszustände ändern sich, aber die Kunst bleibt.
KUNSTRAUM digital 30.04. - 02.05.2021
Online ab 26.04.
Teilnehmende Künstler*innen
OM BORI, LYNN KELDERS, XENIA KOGHILAKI, LUKAS LUZIUS LEICHTLE, TIM LEIMBACH, GABRIELA LESMES LÓPEZ, HELENA OMMERT, FELICITAS SCHWÄGERL, SHONA STARK
BLAUPAUSE (Kollektiv): LUCIA SALOMÉ GRÄNICHER + SULTAN ÇOBAN, HANNES KUPFER + TABEA BECKER, ANAÏS NYFFELER, LISA WALDER, NELSON WILHELM
PARKVERBOT (Kollektiv): UMUT AZAD AKKEL, LOUISA BOESZOERMENY, YOU GU, MIJI IH, DANA RABEA JÄGER, PEGAH KESHMIRSHEKAN, ANAN YOON LEE, SUGANO MATSUSAKI, GUOXIN TIAN, ZHÉ WANG
"THE PERFORMING OBJECT" (kuratiert von Justin Polera): [acta]ODEM - FINJA SANDER + DANIEL M.E. SCHAAL, ELLI BRANDAUER + SALLY VON ROSEN, ABIE FRANKLIN + FADI ALJABOUR + MOHAMAD HALBOUNI + IREN ISMAEL, BRAD NATH, DANIEL TOPKA, AMADEUS VOGELSANG + AZUR ŠABIĆ performt von LENNART NIELSEN
Premieren-Programm als Streams via YouTube
360° Videos
OM BORI
Die Grundidee dreht sich um die Grenzen und Gewohnheiten von Erinnerung und Wahrnehmung, denen ich mich über die Morphologie des Kontinentalschelfs nähere. Der Schelf beschreibt den Teil der kontinentalen Landmasse, der unter Wasser liegt.
Ausgehend von dieser geografischen Besonderheit der Meereslandschaft greife ich Erzählungen auf, die von meinen Großvätern überliefert sind, die im Zweiten Weltkrieg im Ärmelkanal und in der Normandie stationiert waren.
Weil sie auf der falschen, nämlich der deutschen Seite der Schlacht standen, verbergen ihre Geschichten mehr, als sie offenbaren. Während sie ihre Erinnerungen sozusagen unter den Sedimenten des Schweigens vergruben, waren beide leidenschaftlich bei den Liedern, die sie während der Kriegsjahre sangen - diese mache ich mir zu Nutze, um Teile ihrer sonst unausgesprochenen Vergangenheit zu enthüllen.
(Text: Om Bori)
LYNN KELDERS
Lynn Kelders wurde 1997 in Luxemburg Stadt geboren und wuchs in der luxemburgischen Kleinstadt Bettendorf auf. In eher ruhiger Umgebung traf sie in den letzten Jahren ihrer Schulausbildung das erste Mal auf Kunst als Profession. Zeichnete und beobachtete sie schon als Kind, wurden ihr auf dem Weg zum (unter anderem) Kunst-Abitur sowohl bildgestalterische Fähigkeiten als auch Grundlagen in Illustrationsdesign, Schriftsatz und technischem Zeichnen vermittelt.
Schnell wurde durch die intensive Spezialisation in der Schulzeit klar, dass die Kunst nicht nur Hobby bleiben sollte. Seit Ende 2017 lebt und arbeitet die junge Künstlerin nun in Berlin. Der Kontrast der trubeligen Weltstadt zum verschlafenen, konservativen Luxemburg bietet viel Fläche für Ideen und Gedanken.
Lynns Kunst stellt ihre Sicht auf die Welt dar: Beobachtungen, Emotionen, Charaktere. Oft werden Menschen dargestellt – der Fokus liegt allerdings nicht auf Perfektion und Realismus, die Darstellung lässt viel Interpretationsspielraum offen. Seltsame Posen, makabre Themen, die auf bunte Farben und vermeintlich harmlose Gesichter treffen – Diese Kombination erzeugt eine Spannung, die den/die Betrachter*in nicht loslässt. Ein bisschen Unwohlsein soll übrigbleiben, und das tut es. Trotzdem ist dieses Unwohlsein nicht zwingend negativ konnotiert, es erinnert eher an Nachdenken. Über sich, über die Wahrnehmung des Ichs und der Umwelt. Getragen von Kontrasten und knalligen Farben entwickeln die Werke einen starken eigenen Charakter.
[Trigger Warning: Depression]
Lynn lebt seit mehreren Jahren mit Depressionen. Die Krankheit bestimmt ihren Alltag und nimmt großen Einfluss auf ihre Kunst. Ihre Werke dienen als Projektionsfläche für ihre eigenen intrusiven Gedanken und helfen dabei das konstante Störgeräusch zu verdrängen, welches sie tagtäglich begleitet. Am Anfang der Corona-Pandemie verschlimmerte sich ihre Krankheit weiter. Die Welt um sie herum schien ihre Depression zu emulieren und sie rutschte in eine Phase der Selbstisolation ab. In dieser Zeit beschäftigte sie sich stärker damit wie die Welt um sie herum ihre Krankheit wahrnimmt und wie sie ihre Kondition nach außen hin zeigt. Dieser Umgang mit ihrer Depression ist das Hauptthema ihrer Werke.
(Text: Julia Szymik)
XENIA KOGHILAKI
Xenia Koghilakis Performance wird am 01.05. als Premiere-Stream auf YouTube erscheinen.
Headbanging ist eine Praxis, die am häufigsten mit Musikkulturen wie Punk, Heavy Metal, Hardcore etc. in Verbindung gebracht wird. Als Geste ist es auch Teil vieler Traditionen in der Geschichte. In diesem Sinne ist Headbanging ein Wiedererkennungsmerkmal. Es ist eine Erinnerung, persönlich und kulturell, und bildet somit eine endlose Kette der Gegenseitigkeit und des Austauschs von Zeit, Affekten, Schweiß, Atemzügen, historischen, kulturellen und politischen Partikeln zwischen Körpern, die niemals statisch ist. Stattdessen befindet sie sich immer in einer turbulenten Kreisbewegung. "Go 'head baby!" stellt jede Vorstellung von Stabilität in Bezug auf Ansätze kollektiver Imaginationen, die eine solche Tanzpraxis auslösen kann, zur Disposition, insbesondere in Zeiten, in denen gemeinsame Räume des Tanzens in großen Gruppen als problematisch, gefährlich oder sogar illegal gelten.
(Text: Xenia Koghilaki)
LUKAS LUZIUS LEICHTLE
Lukas Luzius Leichtle beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit der Rolle des Individuums in der Malerei und unserer, sich stets verändernden, Gesellschaft. Mit Prozessen digitaler Verfremdung und Techniken der klassischen Öl-Malerei entstehen Werke, die klar als analoge Objekte existieren und dennoch in Diskursen um Digitalisierung verankert sind. Haut und Transparenz als Motive und als materielle Realität der Bilder. Kontrolle im malerischen Verfahren als Reflektion der Rolle des Künstlers und unserer gesellschaftlichen Organisation.
Die Arbeiten werden zum Zeitpunkt des Festivals in einer Einzelausstellung in London gezeigt. Lukas Luzius Leichtle hat sie im Vorfeld im KUNSTRAUM Potsdamer Straße installiert, sodass für das Festival mit der Abwesenheit der Objekte gespielt wird. Hierbei entsteht eine, einzig für den Raum angelegte und an einem Tag vollendete, neue Fresken-Arbeit, welche nach dem Festival wieder verschwinden wird.
(Text: Jakob Urban)
TIM LEIMBACH
Als Schaffender sein eigenes Werk in wenigen Sätzen zu beschreiben ist nicht einfach - wäre es das, würde das wohl meine Arbeiten in Frage stellen. Ich sehe die Bilder, die ich erarbeite als eine Dokumentation einer Suche. Jedes bezeichnet im besten Fall einen kleinen Schlüsselmoment zu einer neuen Erkenntnis. Es wäre wünschenswert, wenn dies irgendwann zu einem vollendeten Bild führen würde, zerstörte aber auch gleichzeitig das, was den Reiz der Malerei für mich ausmacht. Ich bewege mich im Bereich der Abstraktion. Das Auge erkennt Figuren, Gebäude, Landschaften - sie sind jedoch nur Raster für den Farbauftrag, Flächen, Linien und Strukturen einer Komposition. Räumlichkeit spielt nur eine untergeordnete Rolle in diesen Arbeiten. Ob eine Fläche Figur oder Hintergrund ist, entscheidet letztlich nur unsere Seherfahrung.
Der Wunsch nach neuen Eindrücken prägt die allgemeine Erinnerung an das letzte Jahr. Auch ich habe unterbewusst sicherlich diesem Drang in einigen Werken einen Platz eingeräumt. Bücher, Filme etc. standen unwillkürlich Pate für die ein oder andere Bildfindung, deren Grundgerüst oftmals eine von den Erzählungen evozierte Emotion ist.
Als „junger“ Künstler in Berlin zu leben und zu arbeiten, birgt gewisse Herausforderungen. Gesehen werden ist das A und O, übt jedoch den Druck des ständigen präsent seins aus, auch wenn es vielleicht in gewissen Phasen nichts zu präsentieren gibt. Die Zeit des Lockdowns hat diesen Druck etwas zurückgenommen, was ich vorsichtig als Glück im Unglück bezeichnen würde.
Mit der gemeinsamen Ausstellung „Almost There“, die ich zusammen mit Isabella Bram im Dezember letzten Jahres im Projektraum 145 organisiert habe, haben wir versucht, trotz Auflagen und der allgemeinen Zurückhaltung in Sachen Präsenzveranstaltungen, eine Anlaufstelle für Kunstinteressierte zu schaffen. Der Titel erweckt Parallelen zum vorherrschenden Hoffnungsgedanken, das ganze werde schon bald vorbei sein - Almost There, fast geschafft. Diese Erfahrung hat gezeigt, dass gerade innerhalb einer Krisensituation das Bedürfnis nach Anregung groß ist. Gespräche auf unterschiedlichsten Eben ließen erkennen, dass Kunst auch eine Form von Halt und Orientierung bieten kann und deshalb unabdingbar für uns ist. Ich hoffe, dass auch die Ausstellung Kunstraum Digital diesem Bedürfnis nachkommt.
(Text: Tim Leimbach)
GABRIELA LESMES LÓPEZ
Die Arbeit von Gabriela Lesmes López ist spielerisch, fantasievoll und von unglaublicher Stärke.
Transparente Körper, die im Baum eines Parkplatzes hängen und sich im Wind bewegen. Scheinbar ein Werk des Verschwindens und des Nichts, und doch, sobald die Sonne es trifft: Es ist alles. Aufgeblasen mit dem künstlerischen Atem, erwachen diese Objekte durch ihre Koexistenz mit der natürlichen Umgebung, die sie temporär bewohnen, zum Leben.
Die ortsspezifische Natur dieser Installationen überwindet die Grenzen des geografischen Standorts und verstärkt gleichzeitig die physische Präsenz der Arbeiten und die Besonderheiten des Raums, in dem sie existieren. Jedes Mal aufs Neue verändern sich die Skulpturen und orientieren sich neu, koexistieren mit ihrem temporären Zuhause.
Im Galerieraum installiert Gabriela Lesmes López "The Backfire of Violence", eine riesige Steinschleuder, wie eine Metapher für die Spannungen, die wir alle in dieser Zeit erleben. Zusammen mit den Arbeiten anderer Künstler*innen verankert dieses räumliche Angebot das digitale Festival und bindet es an seine physischen Ursprünge.
Gemeinsam kommunizieren die hier "geparkten" Werke zwischen den Körperlichkeiten von Schwere und Leichtigkeit und zwischen der Materialität von Luft und Stein.
(Text: Jakob Urban)
HELENA OMMERT
HYPERICUM
// Johanniskraut
hyper eikona : gegen Geister
Brachland und Trockenhänge
kleine Drüsen auf den Kronblättern gefüllt mit etherischem Öl
kurze schwarze Längslinien überziehen die Blütenbätter,
sie sind mit dem Anthocyan-Pigment gefüllt,
diese Öle + Hyperidin sollen eine heilsame und schmerzlindernde Wirkung haben
Ich breche ein vertrocknetes Johanniskrautpflänzchen in zwei Teile und lass sie in die gläserne Kanne fallen, ich nehme den Topf mit kochendem Wasser und übergieße die Pflanzenbrösel. Ich beobachte den Blätterstrudel so lange, bis er sich rosa färbt.
Jetzt kann ich sie trinken, die Dämonenabwehr.
Eine malerische Auseinandersetzung mit der Suche nach Heilung für die Ängste meiner Generation - „Prieber mal, dann wird es dir besser gehen“ - Es ist kein Sarkasmus, der beim Lesen dieser Auffordeung hervorklingen soll - Naturheilkunde, dieses Hokuspokus mag hier und da herabfallend belächelt werden, jedoch geht es um eine, nach meiner Auffassung, ganz im wahrsten Sinne des Wortes ‚natürlichen‘ Besinnung zur Natur. Was ist Natur? Natur ist die ökologische Umwelt, aus die sich der Mensch im Anthropozän heruasschält, bis er irgendwann gänzlich nackt und hilflos neben ihr stehen wird.
Sich, als Mensch, als Bestandteil der Natur zu verstehen ist, wie ich es erfahre, ein Bedürfnis Vieler.
Auch ohne auf Details einzugehen, kann ich glaube ich behaupten, ebenso Viele fühlen sich im Zuge der Krisen unserer Erde und Menscheit, die scheinbar öfter von einem nächsten Dilemma als von einem Hoch abgelöst zu werden, desillusioniert und ermattet.
Die globale Pandemie, ist das Salz, das jetzt dazu auf diese offene Wunde rieselt.
Destruktiv?
Vielleicht, aber definitiv eine Realität, die sich in die Gegenwartskunst etablieren wird.
Zukunftsfragen bewegen uns. Es geht um Moral und Verantwortung.
Fragen, die ich in meiner Arbeit nicht beantworten möchte.
Es ist ein Ausweg aus dem Weltdilemma, des Bedürfnis nach Entspannung, in dieser gehetzten Zeit in einer gereizten Großstadt, den ich zeigen möchte und eine verstecktes Angebot, das auch mal zu probieren und zu beobachten wie der Tee sich rosa färbt
(Text: Helena Ommert)
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pdf: Statement der Künstlerin zur aktuellen Situation (22.40 KB) |
FELICITAS SCHWÄGERL
Bei den Arbeiten handelt es sich um analoge Fotografien als einzelne Arbeiten und welche die weitergehend für die weitere Abstraktion und Hinführung zum Thema mit Videoarbeiten verflochten wurden. Es geht um Natur und Strukturen. Oftmals sind Strukturen je nach Blickwinkel schon natürlich abstrahiert. Durch das Spiel mit den Überblendungen versuche ich sie weiter zu verfremden und eine gewisse Eigenheit und Mehrdeutigkeit zu schaffen.
Mir gefällt es industrielle mit natürlichen Strukturen und vermeintliche Gegensätze von analoger und digitaler Visualisierung zu verbinden und damit intuitiv neue Formen zu finden.
Zunächst habe ich meine Fotografien für diesen Vorgang in Broschuren gebunden, welche ich weiter zerschnitten habe. Das Haptische gefiel mir dabei immer sehr gut, sowie dass beim Betrachten der Arbeiten eine gewisse Nutzung entstand, die die Arbeiten für mich lebendiger erschienen ließ. Das ist derzeitig leider nicht möglich. Die derzeitige pandemische Situation fordert nun sich mehr anzupassen, so kam ich im letzten Jahr immer mehr zum Video. Letztlich erlaubt das Medium noch mehr Überlagerungen, als es im rein-analogen Format möglich ist. Die Gegensätzlichkeit lässt sich bei Übertragung in das gleiche Medium gewissermaßen aufheben und ermöglicht es die Analogie meiner Fotografien digital zugänglich zu machen.
Für die industriellen Strukturen wählte ich Ausschnitte von [analogen] Fotografien des Kunstraums der Potsdamer Straße, die in die Videos eingefügt wurden. Die Architektur des Kunstraums ist fast so eigensinnig wie seine Funktion. Die äußere Architektur mag fast gegensätzlich zur inneren Funktion des Kunstraums sein. Ist es ein Parkhaus? Eine Galerie? Mir gefiel es die kleinen Besonderheiten und Eigensinnigkeiten zu suchen und zu dokumentieren. Es zeigt das Leben in diesem Raum ist, ebenso im Gegensatz zu der Erwartung dieser pandemischen Situation. Die Situation wirft natürlich mehr Schwierigkeiten auf, indem sie beispielweise den Austausch und [analoge] Ausstellungsmöglichkeiten erschwert und damit mehr Anpassungen und Kreativität fordert als zuvor, zeigt aber ebenso, dass Kunst nicht stehen bleibt.
(Text: Felicitas Schwägerl)
SHONA STARK
Klang. Skulptur. Klang-Skulptur. Installation. Video...
Shona Starks Arbeiten sind nicht unbedingt greifbarer Natur und nehmen doch jedes bisschen Raum zwischen sich und dem Publikum ein.
Vom strengen Minimalismus ihrer Präsentationsformate bis zum herzzerreißenden emotionalen Subtext, der sich darunter verbirgt, operiert und oszilliert dieses komplexe Werk an den Schnittpunkten des Konzeptuellen und des Sinnlichen.
Im Rahmen des Festivals werden vier neue Arbeiten gezeigt, die zum ersten Mal in einem Raum zusammenkommen. Eine Videoinstallation, die sich mit persönlichen Liebes- und Ehegeschichten auseinandersetzt, eine ortsspezifische Arbeit, die den Instagram-Account des Vaters der Künstlerin nachbildet und an der brutalistischen Decke des Parkhauses installiert, und ein Soundstück, das die Vielzahl offener/geschlossener emotionaler Zustände innerhalb einer romantischen Beziehung erforscht.
Die Performance "I loved you", die im Raum gefilmt wurde, und die Video-Installation "Family History" werden am Freitag, den 30.04. als Premiere-Stream auf YouTube erscheinen.
Die Sound-Arbeit Open/Closed wird als Teil des Festivals installativ ausgestellt.
(Text: Jakob Urban)
BLAUPAUSE
LUCIA SALOMÉ GRÄNICHER + SULTAN ÇOBAN, HANNES KUPFER + TABEA BECKER, ANAÏS NYFFELER, LISA WALDER, NELSON WILHELM
Blaupause agiert als Kollektiv, welches sich durch verschiedene Disziplinen und Örtlichkeiten zieht. Die Arbeiten, die aus Installationen, Fotografien, Performances, Sound- und Textexperimenten bestehen, werden von Studierenden aus Basel, Berlin und Zürich geschaffen und finden im Kunstraum unter dem Titel Codes von Un:Menschlichkeiten das erste Mal als physische Argumente zusammen.
Codes, verstanden als Produkt unterwerfenden, empowernden, vereinenden, technokratischen oder natürlichen Konsenses – allgegenwärtig, mal subtil, mal dröhnend – sind Generatoren und Ausdruck von Un:menschlichkeiten. Innerhalb von Blaupause soll das Zusammenbringen verschiedener Disziplinen und deren Perspektiven die kollektive Reflexion über Codes der Un:menschlichkeit wiedergeben. Fabulationen über Wesensformen, die sich jenseits der anthropozentrischen Perspektive bewegen, als auch repressive Strukturen und Regime werden so zu Codes und Kodierer*innen: Unsichtbar agierende Viren, gepflanzte Wolken, Tulpen aus Kunststoff, defensive Architektur, schreiende Pronomen. Alle diese heterogenen Wesen, finden in ihrem Gegenüber die Möglichkeiten, Un:Menschlichkeit zu sein.
Das Potenzial zu kodieren wird so zur Existenz und zum selbsterhaltenden Prozess. Die verschiedenen Formen dieser Reziprozität werden in Stille Post: Codes von Un:Menschlichkeiten entwickelt,erforscht und erfahrbar gemacht. Der Ausstellungsraum wird so zu einem Labor der Un:Menschlichkeiten, einem Ort der De- und Rekodierung. Ein Labor voller Wesen, welche aufeinander reagieren, sich referenzieren, streiten und in Ihrer gemeinsamen physischen Präsenz wieder neue Codes schreiben. Der Raum selbst wird zu einem Spiel der stillen Post, in dem das Schlusswort immer wieder aufs Neue formuliert wird.
(Text: Blaupause)
Bild: Blaupause
LUCIA SALOMÉ GRÄNICHER + SULTAN ÇOBAN
Nouns
mit: Sultan Çoban
von: Lucia Salomé Gränicher und Sultan Çoban
Sprache als Werkzeug sich auszudrücken und sich vermitteln zu können.
Doch welchen Systemen und Machtstrukturen unterliegt das Sprechen? Identitätsstiftende Pronomen wie „Ich“ / „Du“ und und „Wir“ / „Sie“ unterliegen klaren Dualitäten, welche wiederum in ihrer Differenzierung Gewalt reproduzieren. Beide Worte können nicht auf gleicher Ebene existieren. Einer der beiden Begriffe regiert den anderen. Indem das Ich von dem Du abgegrenzt wird, schaffen Sprechende eine klare Trennung von dem vermeintlich Anderen. Genauso bei der Verwendung von dem auf kollektiven Erfahrungen basierenden „Wir“ oder „Sie“. Es stellt sich die Frage, wie sich in dieser Auseinandersetzung eine andere, eine fremde Sprache angeeignet wird. Wir borgen uns eine uns fremde Sprache, um uns mitzuteilen, entweder weil wir wollen oder weil wir müssen. Doch erreichen wir jemals die vollkommene Aneignung einer Sprache, welche sich nicht wie die Muttersprache organisch in unseren Mund hineingeformt hat? Die Performativität dieses Diskurses wird in Nouns anhand der Mimik eines Pronomen aussprechenden Gesichtes aufgezeigt, denn genau da und in dem Moment manifestieren sich die Suche nach Identität einerseits und die der Gewalt inhärente Sprache andererseits. Für das Festhalten und Wiedergeben von Nouns zeigte sich das Smartphone als geeignetstes Medium, da es selbst als Vehikel für die Darstellung vermeintlicher Identitäten dient.
(Text: Lucia Salomé Gränicher)
Bilder: Lucia Salomé Gränicher + Sultan Çoban
HANNES KUPFER + TABEA BECKER
Defensive Architektur ist Architektur, die Menschengruppen – oft obdachlose Menschen - von bestimmten Orten des öffentlichen Raums vertreibt. Diese Form der Segregation materialisiert sich in subtilen Mitteln, die dem Großteil der nicht gemeinten Menschen nicht auffallen und nicht auffallen sollen.
Übermäßig viele Armlehnen auf Bänken dienen Menschen als Stütze und verhindern gleichzeitig, dass jene als Schlafplatz genutzt werden. Blaues Licht lässt Venen unsichtbar werden. Klassische Musik beglückt Menschen, die auf ihre Bahn warten und vertreibt andere auf der Suche nach nächtlicher Ruhe.
In ihrer Materialität und Subtilität bilden Objekte defensiver Architektur so einen Code der Unmenschlichkeit, der Probleme nicht bekämpft, sondern kodifiziert und in die Unsichtbarkeit treibt.
(Text: Hannes Kupfer)
Fotos: Tabea Becker
ANAÏS NYFFELER
Leben in der Plastisphäre – Das Gefäß als Grabstätte und gleichzeitig als Ort der Zersetzung, Wiedergeburt und Renaturierung. eine Geschichte ohne linearen Zeitstrang; voller Anfänge, ohne Enden. In einem muschelförmigen Sandkasten aus Plastik werden dekontextualisierte Objekte zu Agent:innen und verwischen jegliche Grenzen der möglichen Interaktion.
Die Spekulation, was in einer Natur geschieht, wo sich auf schillernden Scheiben gespeicherte Erinnerungen mit dem Erdboden vermischen und digital generierte Tulpen aus Plastik schmelzen, die Mensch hinterlässt, bleibt unvollendet.
(Text: Anaïs Nyffeler)
Bilder: Anaïs Nyffeler
LISA WALDER
Cloudscapes
In "Cloudscapes" werden Momente untersucht in denen sich Codes / Taxonomien / Computer / Maschinen und Un:menschlichkeiten / Vermenschlichung / Aneignung treffen und eine Schnittmenge bilden. Es wird eine Wolkenlandschaft beschrieben und dabei die konventionelle Vorstellung der Wolke ausgedehnt. Durch die Recherchearbeit entstand ein Wolkenkatalog in Form eines essayistischen Found-Footage-Filmes.
Dieses Wolkenpanorama beginnt mit dem westlichen Blick, welcher Wesen in den Wolken zu erkennen scheint, geht über zur wissenschaftlichen Kategorisierung von „Wolken-Spezies“ und erstreckt sich ausgehend von dieser Vermenschlichung hin zu ‚manmade-clouds‘ aller Arten [Motorabgasse, Industrierauch, Smog, militärische Waffen, künstliche Wolkensaat und digitale Cloud]. Dabei wird die Wolke zu einer ephemeren Akteurin, deren Agency die Wetterlage längst überstiegen hat.
(Text: Lisa Walder)
NELSON WILHELM
"Fundamenting" und "Blind/ing Perceptions" sind zwei Prothesen, die als Reaktion auf die Covid-19 Pandemie beschleunigte Digitalisierung entstanden sind. Die Brutalität und Rücksichtslosigkeit, mit der bisher physische Prozesse in den digitalen Raum transferiert wurden und wie blind diese Transformation angenommen und als notwendig angesehen wird, stehen dabei im Zentrum.
"Fundamenting" widmet sich dabei dem Raum als Subjekt und versucht zu verstehen, was es bedeutet, dessen physische Gegebenheit teilweise zu leugnen. Die Ausstellung selbst ist ein Transformationsprozess, der die digitale Reproduktionsmöglichkeit nutzt, um seine Legitimation fortzutragen. Aber was bedeutet das, für das Fundament: Beton, Rohre, Kabel, Nutzen und Raum an sich? "Fundamenting" ist selbst eine Prothese, die in verschiedenen Experimenten genutzt wurde, sich dem Raum zu nähern, um ihn im Rahmen dieser Ausstellung digital zu verhandeln – oder gegebenenfalls daran zu scheitern.
Die Möglichkeit zu scheitern wird ebenfalls mit "Blind/ ing Perceptions" thematisiert, welches das Scheitern als Modus des Sehens versteht. Die Pandemie ist ein Kampf gegen das Unsichtbare – eine Existenz, die uns an die Grenzen des menschlich Verhandelbaren bringt. Wie etwas bekämpfen, was man nicht sieht, und was passiert, wenn man die Möglichkeit des Scheiterns ignoriert? Der Mensch selbst hat in seinem Sichtfeld einen natürlichen blinden Fleck, welcher vom Gehirn konstant spekulativ gefüllt wird. Dieser Fleck ist unumgänglich aber ein Moment der menschlichen Spekulation, die eine Möglichkeit mit sich bringt, das Unsichtbare zu verhandeln. "Blind/ing Perceptions" ist eine Hommage an diese Möglichkeit und eine Prothese, die diese produktive Blindheit erfahrbar macht.
(Text: Nelson Wilhelm)
Fotos: Nelson Wilhelm
PARKVERBOT
UMUT AZAD AKKEL, LOUISA BOESZOERMENY, YOU GO, MIJI IH, DANA RABEA JÄGER, PEGAH KESHMIRSHEKAN, ANAN YOON LEE, SUGANO MATSUSAKI, GUOXIN TIAN, ZHÉ WANG
Wir sind weiterhin mit schwierigen Zeiten konfrontiert, unsere Beziehungen und Verbindungen zueinander werden mehr denn je in Frage gestellt. Die Tatsache, dass selbst der physische Raum der Ausstellung als Plattform für Interaktion verschwunden ist, unterstreicht die Notwendigkeit, über die Verbindung zu uns selbst, anderen und der Gesellschaft, in der wir leben, nachzudenken und nach neuen Wegen der Vernetzung zu suchen.
Während die physische Ausstellung “Parkverbot” stattfindet und zugleich dokumentiert wird, sind keine Besucher*innen im eigentlichen Galerieraum erlaubt. Aus diesem Grund erstellt die Künstler*innengruppe inklusive wachsende Online-Kanäle, um die Ausstellung auf verschiedene Weise zugänglich zu machen. Der physische und der digitale Raum verschmelzen. Die Künstler*innen stehen vor neuen Herausforderungen in der Zusammenarbeit, auch wie sie ihre Werke präsentieren und versuchen zugleich, über den digitalen Blick mit den Betrachter*innen zu interagieren, um Wege zu finden, sich in einem hybriden Format zu verbinden. Auch die Arbeiten und Installationsformen der zehn Künstler*innen nähern sich dem Konzept der Beziehung aus verschiedenen Perspektiven und beinhalten Herausforderungen, die die Planung einer Ausstellung unter Pandemiebedingungen mit sich bringt. Es tauchen Anfragen bezüglich der Bedeutung und des Dilemmas intimer Beziehungen auf. Die Interaktionen zwischen Menschen, Orten, Objekten und Emotionen werden dem ständigen Test unterzogen, den wir alle inzwischen nur zu gut kennen.
Obwohl wir mit mehreren, sich ständig ändernden Verboten konfrontiert sind, müssen wir einen Weg finden, uns innerhalb dieser Beschränkungen bewegen zu können. Parken ist vorübergehend, ein Konzept, darauf zu warten, vorwärts zu kommen, aber nicht vollends still zu stehen und es beinhaltet die Unvermeidlichkeit, sich an einen anderen Ort zu begeben und schließlich anzukommen.
(Text: Dana Rabea Jäger)
Poster-Design: Lei Lei
"THE PERFORMING OJECT" (kuratiert von Justin Polera)
[acta]ODEM - FINJA SANDER + DANIEL M.E. SCHAAL, ELLI BRANDAUER + SALLY VON ROSEN, ABIE FRANKLIN + FADI ALJABOUR + MOHAMAD HALBOUNI + IREN ISMAEL, BRAD NATH, DANIEL TOPKA, AMADEUS VOGELSANG + AZUR ŠABIĆ performt von LENNART NIELSEN
Performance-Programm als Premieren-Streams via YouTube
Sonntag, 02.05.2021
14:00 Uhr: ELLI BRANDAUER + SALLY VON ROSEN
15:00 Uhr: AMADEUS VOGELSANG + AZUR ŠABIĆ performt von LENNART NIELSEN
16:00 Uhr: ABIE FRANKLIN + FADI ALJABOUR + MOHAMAD HALBOUNI + IREN ISMAEL
18:00 Uhr: [acta]ODEM - FINJA SANDER + DANIEL M.E. SCHAAL
Im KUNSTRAUM Potsdamer Straße präsentiert PS120 die (digitale) Gruppenausstellung "The Performing Object", eine Ausstellung, die die Frage stellt, was passiert, wenn die Performer*innen nicht anwesend sind, trägt das verbleibende Objekt ihre Abwesenheit? Die Antwort liegt nicht in der Kollaboration, sondern in der Kontamination. Denn jede ausgeführte Aktion kontaminiert die gesamte Ausstellung und schwappt auf die Objekte und die anderen über, auf Künstler*innen und Publikum gleichermaßen.
Amadeus Vogelsang schuf mit Azur Šabić "reenactment: Yentl" eine Inszenierung der ikonischen Queer-Ballade "Papa Can You Hear Me" aus dem Film Yentl mit Barbara Steinsand in männlichem Drag, aber nun mit nicht-binärer Gender-Performance von Lennart Nielsen vor einer tropfenden Unterwäsche-Kerzenhalter-Skulptur. Dieser epische Song ist zum Teil ein Aufruf und eine Antwort auf Daniel Topkas Kopplung und Verdopplung von Skulptur-Blumenvasen, die aus seinen und seines Freundes gebrauchten Calvin Klein-Slips, die in Harz getaucht wurden, hergestellt wurden.
[acta]ODEM - Finja Sander und Daniel M.E. Schaal bewältigten 6 Stunden von morgens bis abends, um die Säulen des Parkhauses mit Plastik-Stretch-Verpackungsfolie zu umwickeln, die in Transportkontexten verwendet wird, um eine große Plattform zu triangulieren, die stark genug ist, um darauf, darüber und hindurch zu gehen. Das Duo Elli Brandauer und Sally von Rosen inszenierte einen Mode- und Boxkampf in einem mit goldenen Stanchions und rotem Samt abgesperrten Quadrat, das den Kern der Ausstellung einnahm, aber mit anderen Happenings um ihn herum wuchs und schrumpfte. Eine Vase mit Tulpen krachte auf den Boden und sie warfen einen Schlag auf sich und das Objekt - eine kollektive und soziale Praxis des Kämpfens beim Schaffen.
In der Rampe, die oben mit [acta]ODEM verbunden war, wo sie ihr Landschaftstheater schufen, und unterhalb des Rings fand ein Ritual der Heilung und Reinigung mit heiligem Salz statt, das von Abie Franklin, Fadi Aljabour, Mohamad Halbouni und Iren Ismael initiiert wurde. Es dauerte 15 Minuten, bis sich das gesamte Material des Salzes aufgelöst hatte und ein leuchtend gelb-grünes Aquarium aus Abwasser oder alternativ Wasser zurückließ, das einen Exorzismus für unsere kollektiven Dämonen bereithält.
(Text: Justin Polera)
„NEXUS“ (2021)
von [acta]ODEM - Finja Sander I Daniel M.E. Schaal
Dauer: 6 hours
Material: 10.000 Meter Stretchfolie
Foto: Finja Sander - alle Rechte Finja Sander und Daniel M.E. Schaal
PARKEN IST BEWEGUNG - Festival junger Kunst in Berlin parallel zum Gallery Weekend
Parken ist kein Stillstand. Parken ist Bewegung. Parken ist temporär, Parken ist präsent. Zwischen materiell und immateriell: Aggregatszustände ändern sich, aber die Kunst bleibt.
Mehr als 30 junge Künstler*innen in Berlin inszenieren und präsentieren im Parkhaus KUNSTRAUM Potsdamer Straße ihre Werke, ihre Experimente, ihre Gedanken und Ideen. Aus dem analogen Raum transportieren wir die Kunst in die digitale Sphäre und wagen neue Vernetzungen.
Das Festival wird für das Publikum rein digital gezeigt, die Studierenden arbeiten so an neuen Formen, Kunst zu produzieren und zu erleben. Anhand von Übersetzungen, Skizzen und Kurz-Workshops entsteht anlässlich des Gallery Weekends damit ein hybrides Projekt, zwischen Ausstellung und Event, zwischen innen und außen, zwischen analog und digital und zwischen Kunst und Publikum.
Durch diverse Medien wie Malerei, Skulptur, Installationen, Performances und Multimedia-Projekte erkunden die Künstler*innen die Räumlichkeiten des Parkhauses (Galerie und Tiefgarage) in der Potsdamer Straße und den digitalen Raum. Kunst tritt in einen fluiden Dialog der reflektiert und hinterfragt. Wie kann Kunst hybrid, zwischen analog und digital existieren? Wie wollen sich junge Künstler*innen heute dazu positionieren?
Kuratiert von Jakob Urban.
Ein Projekt von
studierendenWERK Berlin - Büro für Kultur & Internationales
Bereichsleitung
Mariona Solé Aixás
Projektleitung + Ausstellungsbetreuung
Claudia Brieske
Kurator
Jakob Urban
Redaktionsteam
Sara Feilen
Moritz Kußmaul
Danilas Abukevicius
Social Media + Öffentlichkeitsarbeit
Theresa Brehm
Halil Gagam
Sara Feilen
Jakob Urban
Audiovisuelle Aufnahmen
Sara Feilen
Moritz Kußmaul
Danilas Abukevicius
Video-Schnitt
Sara Feilen
Claudia Brieske
Ausstellungsaufbau
Hannes Schützler
Gonçalo Sena
Uli Westphal
Webseite
Jakob Urban
Übersetzungen
Jakob Urban