03.12.2019
Generation weiche Faktoren & Die heilige Jugend
von Felicia Bayer gelesen am 03.12.2019
Generation weiche Faktoren
Eigentlich bin ich ja so ein unkomplizierter Mensch, weißt du,
eigentlich ist mir alles so mega egal,
naja außer halt meine Jacke, meine Puschen, meine Plattenspielersammlung, Desinfektionsmittel am Rucksack baumelnd, so was hat ja jeder heutzutage, so ne Macke quasi,
hab ich keine Schuld, wenn die Trends das wollen, dann wollen die das, da kann man nix machen, wenn ich taumelnd Teil der technischen trendigen To-Do-List-Gesellschaft sein will,
ich mein´, ich bin ja letztendlich ein Opfer des Systems, von diesem Kapitalismus, ich mein, man kann ja nicht anders als kaufen, kaufen, kaufen.
Und ausziehen aus der Heimatstadt, auch wichtig, sind ja nur Landeier. Überhaupt, keine Eier mehr.
Jetzt kommt nämlich die Uni, bloß weg, und hin zur Feier,
so tut man´s, das wird erwartet, und was erwartet wird, wird auch gestartet.
Wohnung gesucht und gefunden,
völlig ungebunden,
beziehungsweise
eigentlich nicht
unter dem Coolnesslevel Kreuzberg kein grünes Licht
waswärewenn
ich in eine Vorstadt komme, in ein Schlafviertel,
aber ich muss ja nicht,
ich entkomme.
Denn, war das stressig!, so viel gesucht, mindestens drei Stunden aktiv,
endlich gefunden
mit anderen jungen, hippen, sozialen, gesunden
lebe ich mein Leben.
Voll die Taffen,
wie sie so, ganz praktisch,
die Haufen an Altklamotten,
nie getragen,
zusammenraffen,
sich gut fühlen, sich rühmen
dabei nix raffen
dann feiern gehen
wie die Ungestühmen
nächster Morgen
Augenringe, Aspifahne,
heißer Kaffee,
Halbfettsahne,
Schluck Schluck
gluckerdigluck
los zur Uni,
dem Alibigrund des Hipsterlebens
immer am Limit, immer müde, immer Kaffee, immer Mate, immer Aufputschsucht, denn man ist ja so aktiv, Coffee to go im Bambusbecher, denn man macht es simultan, bin ich doch busy, auf zur Uni sagte ich.
Zum Ort des Strebens.
der Ort alter Werte, als ob die wer scherte.
Peinlicher Prof, der da unten mich entertainen soll.
Ich bin hier und ich gaffe
und fühle mich ganz gelangweilt, ganz E-Moll.
Redet der von Platon, von Nietzsche, von Goethe,
mein Gott, dass der mich nicht töte.
Der Affe, den ich angaffe.
Redet und redet und ohne Rhetorik, ohne Haltung, ohne Stil!
Und sein Charakter so labil!
Wenn ich schon herkomm,
dann bitteschön, will ich eines haben
das ich nicht krieg in meinem Lieblingsfriseursalon
das nennt sich Wissen,
W I S S E N
Gut aufbereitet, ist doch das, was ich erwarte, als Student kann man doch noch Erwartungen haben.
Brauch was geboten in meiner kostbaren Zeit, bin es jetzt schon Leid
Denn ich bin Teil von
Generation weiche Faktoren,
Gefühle, Puschen, Milieu,
wer will denn schon das harte, wer hat´s nötig,
wer braucht es, die Orte, dass Wissen im Allgemeinen,
wir sind postmodern: weich im Kern
und überall
nichts als teurer Rauch und Schall.
Und verdammt stolz drauf.
Die heilige Jugend
Die heilige Jugend ist jene Zeit, in der Fehler dumm sind, aber nicht dämlich, denn wir deuten sie wohlwollend als verträumt und idealistisch und selbstbildend, wenn man Kürbis mit Ketchup und Kurkuma kauend, auf dem Klappstuhl sich verdammt, verpeilt zu haben, einzukaufen, Fokus lag eben auf lesen, saufen, Wäschehaufen aussortieren, Gebrauchsanweisungen falsch verstehen, sich darüber aufregen und Kakteen zum Blühen bewegen.
Wenn sich-irren festlich wird, gelobt. Denn aus Fehlern lernt man und wer nie welche macht, hat keine Narben und wer keine Narben hat, wird nichts zu erzählen haben und wer nichts zu erzählen hat, wird irgendwann stehlen oder einfach so fehlen und weg sein aus dem Leben.
Wenn Imperfektion das Ziel ist. Alles andere wäre surreal, utopisch. Ist OK, wenn ich steh, ist OK, wenn ich geh, Komfort kann warten, das Auto, der Sessel, der Bademantel, die Spülmaschine. Ich lebe mein Leben eben auch wartend, mal brav und geduldig, dann gestresst und gehetzt, dann ganz träumerisch und müde und niemandem schuldig.
Wenn wir warten und starren, kurz verharren, alles bleibt stehen und es bleibt keine noch verhandene Zeit in Minuten und Stunden, sondern nur Freiheit und Orte zum Erkunden. Dann lebe ich mein Leben in der heiligen Jugend.